Elbe-Saale

Landesverband Elbe-Saale, Sachsen

Es geht tatsächlich ohne Auto

Am 27.03.2022 erschien in der Sächsischen Zeitung nachfolgender Artikel von Andreas Rentsch über die persönliche Verkehrswende zweier Familien aus Sachsen, in dem auch unser Vorsitzender Clemens Kahrs und unser Mitglied Martin Schmidt zu Wort kamen.

 

 

 

 

Was spart ein Leben ohne eigenes Auto?

Der Umstieg auf Rad, ÖPNV und Carsharing ist nicht überall in Sachsen gleich gut möglich. Zwei Familien erzählen von ihrer privaten Mobilitätswende.

Kathleen (r.) und Michael Strey (l.) haben ihr Familienauto im Oktober 2021 abgeschafft. Ihre Einkäufe oder die Ernte vom eigenen Feld laden die Eheleute aus Dresden-Altnaußlitz auf ihr Lasten-Pedelec.

Ein Fünf-Personen-Haushalt ohne eigenes Auto? Familie Strey aus Altnaußlitz am Stadtrand von Dresden hat beschlossen: Ja, das geht. Weil die Tüv-Plakette für den rund 20 Jahre alten Kleinbus schon eine Weile abgelaufen war und die nächste Hauptuntersuchung einigen Reparaturbedarf offenbart hätte, sei dieser Schritt nur folgerichtig gewesen, sagt Kathleen Strey.

Seit Oktober 2021 sind die 51-jährige, ihr Mann Michael und die noch zuhause lebenden Kinder überwiegend mit dem Fahrrad, per Bus und Bahn mobil. Als gravierende Umstellung habe sie das aber nicht erlebt, sagt Strey, die als Krankenschwester arbeitet. "Wir sind schon immer Radfahrer gewesen." Für den Transport schwerer oder sperriger Dinge steht seit zwei Jahren ein Lastenrad mit Elektromotor auf dem Hof. Damit holt sie ihre Ernte vom nahe gelegenen Feld oder bringt den Supermarkteinkauf nach Hause. Für den Fall, dass ausnahmsweise ein Auto benötigt wird, nutzt die Familie den Carsharing-Dienst Teilauto.

Wie viel sie durch ihren autolosen Alltag sparen, haben die Eheleute noch nicht ausgerechnet. Allein Kfz-Steuer und Versicherung für den VW T4 dürften aber mehr als eintausend Euro im Jahr ausmachen, schätzt Michael Strey. "Dazu kommen noch die Ausgaben für Kraftstoff, Tüv und die regelmäßigen Reparaturen."

Die subjektive Wahrnehmung dieser Ausgaben sei oft umgekehrt verzerrt, sagt Clemens Kahrs vom Landesverband Elbe-Saale im Verkehrsclub Deutschland (VCD). "Es ist empirisch erwiesen, dass Kosten für öffentlichen Personennahverkehr überschätzt und Kosten für den eigenen Wagen unterschätzt werden". Die Ursache darin sieht er unter anderem im allgegenwärtigen und cleveren Marketing der Autohersteller. "Da wird ja vor allem ein Lebensgefühl verkauft."

Dabei, so Kahrs, dürften viele Nutzer des "neuen Drittelmixes" aus ÖPNV, Fahrrad und Carsharing deutlich billiger und oft genauso schnell vom Fleck kommen. "Auch ohne das derzeit diskutierte Neun-Euro-Ticket sind Bus und Bahn die günstigere Alternative." Wodurch sich jedoch die Frage anschließt, ob der öffentliche Nahverkehr in Sachsen überall so ausgebaut ist, dass er als intakter Baustein dieses veränderten Mobilitätsverhaltens funktioniert. 

Der kürzlich veröffentliche ADAC-Mobilitätsindex bescheinigt dem Freistaat im Allgemeinen einen "ausbaufähigen ÖPNV". Angebote in diesem Sektor seien in den Jahren 2015 bis 2019 zurückgefahren worden, heißt es in der Analyse. "Dabei ist das Schienennetz trotz Streckenstilllegungen und Rückbaumaßnahmen in der Nachwendezeit noch dichter als auf dem platten Land im Westen Deutschlands", sagt Kahrs, der selbst in einer ländlichen Region unweit von Bremen aufgewachsen ist.

"Viele wissen gar nicht, welche Angebote es gibt, oder sie regen sich über die leeren Busse auf", sagt Katrin Augustin. Die 38-Jährige lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Großschweidnitz bei Löbau und pendelt gelegentlich für ihren Job nach Berlin, wo sie lange gelebt hat. "Ich hingegen freue mich, dass abends noch ein Bus vom Löbauer Bahnhof nach Hause fährt." Möglich macht es das vom Freistaat geförderte Plus-Bus-Konzept. Damit gewährleisten die sächsischen Verkehrsverbünde wochentags von 5 bis 21 Uhr einen stündlichen Takt und abgestimmte Anschlüsse zum Zugverkehr.

Ein Auto hat die Familie trotzdem noch. Dennoch lautet ihr erklärtes Ziel, "autoarm" zu leben. Deshalb pendelt auch Katrin Augustins Ehemann mit Bus und Bahn zur Arbeit ins 23 Kilometer entfernte Bautzen. "Mit seiner Monatskarte kommt er da wirklich günstig", sagt sie. 113,40 Euro kostet das Monatsabo, umgerechnet also zwölf Cent pro Kilometer Arbeitsweg. Jeder Auto-Kilometer dürfte selbst bei einem sparsamen Modell grob geschätzt das Dreifache kosten. Laut Vollkostenrechner des ADAC kommt beispielsweise ein VW up! mit kleinem Verbrennungsmotor bei Spritpreisen von um die 2,20 Euro auf Gesamtkosten von 38,5 Cent pro Kilometer. Ein Standard-Golf knackt locker die 50-Cent-Marke.

Auch der VCD will dabei helfen, Kosten der eigenen Mobilität "zu objektivieren", wie Clemens Kahrs sagt. Seine Beispielrechnungen ergeben Kilometerkosten zwischen einem und reichlich drei Cent für konventionelle Fahrräder, vier bis knapp sechs Cent für E-Bikes und reichlich 15 Cent für eine Abo-Monatskarte der Dresdner Verkehrsbetriebe.

Entscheidend für die private Mobilitätswende sei die Bereitschaft, mit verschiedenen Mobilitätsoptionen zu operieren, sagt Kahrs. Multimodalität nennen das die Fachleute. In der Praxis bedeutet diese Flexibilität oft weniger Bequemlichkeit als Autofahren. Wer gerade nicht mit dem Rad fahren kann oder will, muss Tickets buchen, Apps installieren, Umsteigeverbindungen checken oder Verspätungen ertragen.

Gleichwohl sind manche Verkehrsverbünde bemüht, innovative Komfortlösungen einzuführen. Beispielsweise Fairtiq, eine Schweizer App, die seit August 2020 im Verkehrsverbund Oberelbe bargeld- und kontaktlose Mobilität ermöglicht. Das Programm funktioniert denkbar simpel: Vor dem Einsteigen in Bus oder Bahn wischt der Smartphone-Nutzer den Start-Button in der App nach rechts, am Zielort zum Stoppen nach links. Zwischenzeitliche Umstiege werden ohne weiteres Zutun registriert. Für die Abrechnung der Fahrt werde eine "Bestpreisabrechnung anhand des aktuellen Tarifs vorgenommen", so Kahrs.

Sie selber sei nur sporadische Bus- und Bahn-Fahrerin, sagt Kathleen Strey aus Altnaußlitz. "Wenn ich mit meiner Freundin wandern gehe, bucht sie für unsere Fahrt eine VVO-Familientageskarte für 20,50 Euro. Das finde ich okay für zwei Personen."

Auch das zwischen 25 und 57 Euro teure Sachsenticket der Deutschen Bahn sei eine Option für Preisbewusste, sagt Clemens Kahrs. Die Fahrkarte für bis zu fünf Erwachsene und drei Kinder unter 15 Jahren entfalte ihr Sparpotenzial vor allem dann, "wenn eine Familie deutlich weiter als 50 Kilometer fährt und dabei den eigenen Verkehrsverbund verlässt".

Bliebe noch das Carsharing als dritter Baustein. Dieser Service wurde laut ADAC-Studie "überdurchschnittlich dynamisch ausgebaut", dennoch sind einige Regionen im Freistaat noch unversorgt. Momentan gebe es Teilauto-Fahrzeuge in 14 Städten und 45.000 registrierte Kunden in Sachsen, sagt Martin Schmidt, Regionalleiter in Chemnitz. Zahlreiche Kommunen würden Interesse bekunden, Carsharing-Standort zu werden. Als nächste Stadt soll Plauen an der Reihe sein. Die Oberlausitz bleibt vorerst ein weißer Fleck auf der Landkarte.

Ganz anders ist die Situation in Großstädten wie Leipzig oder Dresden. "Im Umkreis von zwei Kilometern gibt es vier oder fünf Stationen", sagt Kathleen Strey. Für den Familienurlaub im Riesengebirge hat ihr Mann einen neunsitzigen Ford Transit gebucht. Die acht Tage haben 400 Euro gekostet – inklusive Kraftstoff.

Als gängige Faustformel gilt, dass sich der Wechsel vom eigenen zum geteilten Auto ab einer Jahresfahrleistung von unter 10.000 Kilometern rechnet, sagt Martin Schmidt. Stimmt die Rechnung, würde sich Carsharing für Augustins in Großschweidnitz ganz knapp nicht rentieren. "Wir fahren weniger als 12.000 Kilometer", sagt Katrin Augustin. Trotzdem habe sie schon überlegt, ob ihr Auto nicht doch verzichtbar sei. Bisher habe der "Komfort-Faktor" die Abschaffung verhindert.

Dabei verzichtet die Familie aus der Oberlausitz schon auf viele Fahrten, die für andere Pkw-Halter trotz hoher Kraftstoffpreise noch selbstverständlich sind. Laut einer repräsentativen Befragung des DLR-Instituts für Verkehrsforschung, die alle paar Jahre durchgeführt wird, waren zuletzt rund 43 Prozent aller Autofahrten in Deutschland kürzer als fünf Kilometer. Potenzial für Verzicht gäbe es also. Clemens Kahrs fasst es so zusammen: "Man muss das Sparen wollen."

Dass der Wille da ist, sieht Katrin Augustin in ihrem persönlichen Umfeld. Anfang 2023 wollen Freunde von ihr ebenfalls aus der Großstadt nach Großschweidnitz ziehen. "Die haben kein Auto und wollen sich auch keins zulegen."


Hier findet ihr auch nochmals den Artikel in der Sächsischen SZ.

 

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